Gedichte über Krieg, Frieden und Hoffnung
Keine andere literarische Gattung kann in so wenigen Worten so viel aussagen, wie die Lyrik. Keine andere Gattung lässt dem Leser gleichzeitig so viel Raum für seine eigene Gedanken und Empfindungen. Und keine andere Gattung kann sich auf so ästhetische Weise jedem noch so unsäglichen Thema annähern und zur Reflexion anregen, wie es Gedichte können.
Daher haben Schülerinnen und Schüler des Deutsch_Kurses D3 (JG1) die vorliegenden Gedichte ausgesucht und hier bereitgestellt. Sie sollten Stellung nehmen zum derzeitigen Krieg in der Ukraine, der uns alle umtreibt und uns alle angeht.
Die Texte rufen auf zum Frieden, klagen an, wollen Hoffnung machen, trösten und versöhnen. Jeder, der will, kann sie lesen oder anhören, ihre poetische Sprache und ihre Aussagen auf sich wirken lassen und über sie nachdenken.
Josef Reding (1929-2020): Friede
"Bloß keinen Zank
und keinen Streit!"
Das heißt auf englisch
ganz einfach
PEACE
und auf französisch
PAIX
und auf russisch
MIR
und auf hebräisch
SHALOM
und auf deutsch
FRIEDE
oder:
"Du, komm,
lass uns
zusammen spielen,
zusammen sprechen,
zusammen singen,
zusammen essen,
zusammen trinken
und zusammen
leben,
damit wir
leben."
Walter Lowenfels (1897-1976): Der große Friede
Was ist schöner
als das Land, das kein Grab hat
weil da keine Furcht ist
wo der Mut nicht mehr blutet
weil da kein Feind ist,
wo die Krieger der Hundert-und-
Eins-Nationen
entwurzeln die mächtige Tanne
und in die Grube, die bleibt,
all ihre Geschosse werfen,
tief in die Erde des Erdreichs
fallen lassen die Waffen
und den Baum wieder pflanzen. Dann,
wenn der große Friede errungen ist,
werden wir finden das Land,
wo die Wahrheit keinen Namen hat,
weil da keine Lüge ist,
wo die Wohltätigkeit kein Haus hat,
weil da kein Hunger ist,
wo keiner ein unbekannter
Soldat mehr sein muss
und keiner mehr ein Prophet –
weil da das Licht der Weisheit
scheint überall.
George Ghannam (*1958): Aus den Steinen
Aus den Steinen
unserer Hoffnung
unserer Ziele,
unserer Wünsche
unserer Träume
möchte ich Dir
die Stadt bauen,
deren Gesetz lautet:
Füreinander leben.
Miteinander leben.
Mit Liebe leben.
In Frieden leben.
Gisela Steineckert (*1931): Meinst du, die Russen wollen Krieg?
Meinst du,
die Russen wollen Krieg?
Ich frage dich, für welchen Sieg?
Den russischen Soldaten frag,
er liegt dort wo er sterbend lag.
Und was des Volkes Wohlstand wär,
sie geben's mehr als sechzig Jahre her.
Die Russen brauchen keinen Sieg.
Meinst du, die Russen wollen Krieg?
Meinst du,
die Russen wollen Krieg?
Ich seh, wenn ich nach Moskau flieg,
die vielen alten Frauen allein,
die wollten Weib und Mütter sein.
Ich denk an Mädchen als Soldat,
und nie vergeß ich Leningrad.
Die Russen brauchen keinen Sieg.
Meinst du, die Russen wollen Krieg?
Meinst du, die Russen wollen Krieg?
Frag, wann der Rauch da tödlich stieg!
Millionen Hektar abgebrannt,
den Galgen sieh, wo Soja stand.
Ich kenn den Weg zum Ladoga,
für Kinder steht ein Denkmal da.
Die Russen weinten nach dem Sieg,
meinst du, die Russen wollen Krieg?
Meinst du, die Russen wollen Krieg?
Die Russen haben doch Verstand.
Sie haben einen Krieg gehabt,
viel tiefer, als ihr jemals grabt.
In Stalingrad fiel jede Wand -
für wen schrieb Tanjas Kinderhand?
Für Waffen gibts heut keinen Sieg.
Meinst du, die Russen wollen Krieg?
Archibald MacLeish (1892-1982): Die jungen toten Soldaten
Die jungen toten Soldaten sprechen nicht.
Aber man hört sie in stillen Häusern:
Wer hat sie nicht gehört?
Sie haben ein Schweigen, das spricht für sie,
nachts, wenn die Uhr schlägt.
Sie sagen: Wir waren jung.
Wir sind gestorben. Denkt an uns.
Sie sagen: Wir haben getan, was wir konnten,
aber bevor es vorbei ist, ist es nicht getan.
Sie sagen: Wir haben unser Leben gegeben,
aber bevor es vorbei ist, kann keiner wissen,
was unsere Leben gaben.
Sie sagen: Unser Tod ist nicht unser:
Er ist euer:
Er wird bedeuten, was ihr daraus macht.
Sie sagen: Ob unser Leben und Tod für Frieden war,
und für neue Hoffnung,
oder für nichts,
können wir nicht sagen, denn ihr müsst es sagen.
Sie sagen: Wir lassen euch unsere Tode.
Gebt ihnen Sinn.
Wir waren jung, sagen sie.
Wir sind gestorben.
Denkt an uns.
Wolfgang Borchert (1921-1947): Lesebuchgeschichten
Es waren mal zwei Menschen.
Als sie zwei Jahre alt waren, da schlugen sie sich mit den Händen.
Als sie zwölf waren, schlugen sie sich mit Stöcken und warfen mit Steinen.
Als sie zweiundzwanzig waren, schossen sie mit Gewehren nach einander.
Als sie zweiundvierzig waren, warfen sie mit Bomben.
Als sie zweiundsechzig waren, nahmen sie Bakterien.
Als sie zweiundachtzig waren, da starben sie.
Sie wurden nebeneinander begraben.
Als sich nach hundert Jahren ein Regenwurm durch ihre beiden Gräber fraß,
merkte er gar nicht, dass hier zwei verschiedene Menschen begraben waren.
Es war dieselbe Erde.
Alles dieselbe Erde.
Rose Ausländer (1901-1988): Hoffnung II
Wer hofft,
ist jung.
Wer könnte atmen
ohne Hoffnung,
dass auch in Zukunft
Rosen sich öffnen,
ein Liebeswort
die Angst überlebt.
Erich Fried (1921-1988): Was ist Leben?
Leben
das ist die Wärme
des Wassers in meinem Bad.
Leben das ist mein Mund
an deinem offenen Schoß.
Leben
das ist der Zorn
auf das Unrecht in unseren Ländern.
Die Wärme des Wassers
genügt nicht
ich muss auch darin Plätschern.
Mein Mund an deinem Schoß
genügt nicht
auch muss ihn auch küssen.
Der Zorn auf das Unrecht
genügt nicht
Wir müssen es auch ergründen
und etwas
gegen es tun.
Das ist Leben!
Heidrun Gemähling (*1943): Hoffen auf Frieden
Die Welt bangt,
Morde an Unschuldigen
wollen nicht enden.
Verheerende Zerstörungen und
unkontrollierter Hass prägen das Land,
Massen fliehen ins Ungewisse,
in die Ohnmacht der Völker,
ins Zerrissene der Zeit,
andere bleiben,
versinken im Schlund
teuflischer Begierden
ohne Entrinnen,
ohne Wollen.
Was wird werden,
was wird sein,
wenn Lösungen versagen?
Die Weltgemeinschaft
hofft auf Frieden,
wo keiner zu finden ist!
Georg Herwegh (1817-1875): Man treibt die Völker
Man treibt die Völker Knall und Fall
Wie eine Herde Vieh
Aus einem in den anderen Stall
Und nennt es Strategie
Und hat man dann das Heldentum
Mit frommer Hand geflegt -
Wer heilt die Wunden, die der Ruhm
Daheim der Freiheit schlägt?
Erich Fried (1921-1988): Den Herrschenden
Hat es euch Herz und Auge ausgebrannt?
Sind nicht mehr zehn Gerechte in dem Land?
Ihr seid nicht tierisch, denn so schlägt kein Tier.
Keins eurer Opfer ist so tot wie ihr.
Hilde Domin (1909-2006): Nicht müde werden
Nicht müde werden,
sondern dem Wunder
leise,
wie einem Vogel,
die Hand hinhalten.
Friedrich von Logau (1604-1655): Des Krieges Buchstaben
Kummer, der das Mark verzehret,
Raub, der Hab und Gut verheeret,
Jammer, der den Sinn verkehret,
Elend, das den Leib beschweret
Grausamkeit, die Unrecht lehret,
Sind die Frucht, die Krieg gewähret.